Thesen zu einer möglichen grünen Regierungsbeteiligung

von Horst Schiermeyer

1.    „Sie dachten, sie seien an der Macht, dabei waren sie nur an der Regierung.“ (Tucholsky zugeschrieben).
 
Regierungen sind nicht machtlos, aber sie sind meist nicht das Zentrum gesellschaftlicher Macht. Selbst Diktatoren müssen sich mit mächtigen gesellschaftlichen Gruppen arrangieren. Umso mehr gilt dies für gewählte Regierungen.
 
Linke Parteien (siehe die Geschichte der Sozialdemokratie), die sich in kapitalistischen Ländern an Regierungen beteiligen, stehen immer im Zwiespalt zwischen den Erwartungen ihrer Basis und den Erwartungen der herrschenden Kreise (Interessenverbände, Großunternehmen). Wenn nicht gerade eine gesellschaftliche Ausnahmesituation besteht, haben Letztere meist immer eine Blockademacht gegen Politik, die ihre Interessen stärker verletzt.
 
BeispieleMitterand war der letzte westliche Regierungschef, der gegen die Interessen des Kapitals in seinem Land versucht hat, mit einer Politik der Verstaatlichung und durch soziale Maßnahmen seine Gesellschaft stärker zu verändern. Nach einem Jahr musste er seine Politik revidieren, weil es zu massiver Kapitalflucht aus Frankreich kam und die Wirtschaftskrise sich dadurch verschärft hatte.
 
Das war 1981. Heute ist es noch viel schwieriger geworden, national eine Politik gegen das international aufgestellte Kapital zu betreiben.
 
1998 brachte unsere Forderung nach dem Atomausstieg das Geschäftsmodell der Stromkonzerne in Gefahr. Deren intensiver Einflussnahme sind die bekanntlich sehr langen Auslauffristen zu verdanken.
 
2013 drohte rot-rot-grün und damit erhebliche Nachteile für Reiche und Gutverdienende (Steuererhöhung, Wegfall Ehegattensplitting, Bürgerversicherung). Da wir auch relativ viele Gutverdienende als Neuwähler hatten, waren die Grünen das geeignetste Angriffsziel. Die Kampagne gegen uns lief auf zwei Ebenen: Zum einen auf der sachliche Ebene, wenn auch mittels einer Verzerrung unserer Forderungen (Steuern), zum anderen mit Themen, die damit überhaupt nichts zu tun hatten wie die Anti-Veggieday-Kampagne und die Wiederverwertung der Pädophiliedebatte aus den 80ern.
 
Politik, die wir bewirken wollen, kann millionen- oder milliardenschwere Auswirkungen auf „interessierte Kreise“ haben. Da lohnt es sich schon, einige Hunderttausend Euro in die Hand zu nehmen für Lobbytätigkeit, Initiierung von Kampagnen, „Beeinflussung“ von Journalisten etc.
 
 
2.     Es gibt einen alten Erfahrungssatz: Regierungen können immer am einfachsten der eigenen Klientel weh tun:
 
So konnte die CDU in den 80er Jahren die Einführung des Katalysators bei Kfz durchsetzen. Es gab zwar Gemurre unter den Autofahrern, weil verringerte Motorleistung befürchtet wurde. Da dies aber von den Autoparteien CDU/CSU/FDP kam, wurde es als sachnotwendig akzeptiert. Hätte eine Regierung mit grüner Beteiligung das Gleiche gemacht, hätten sehr viele Autofahrer unterstellt, dass es nicht um sachliche Notwendigkeiten geht sondern um einen ersten Schritt, um das Autofahren zu verbieten oder zumindest zu vermiesen. 
 
Wäre Kohl 1999 in den Kosovokrieg gezogen, hätte niemand auf der linken Seite der Gesellschaft geglaubt, es gehe um den Schutz der Menschenrechte statt um die Remilitarisierung Deutschlands. Es hätte sehr viel massivere Proteste gegeben als gegen die Politik einer doch eigentlich pazifistischen Partei. Auch die Proteste gegen die Agenda 2010 wären 2003/4 deutlich heftiger gewesen, wenn sie nicht von der „Gewerkschaftspartei“ durchgeführt worden wäre.
 
3.      Darauf zu vertrauen, dass aufrechte Grüne schon die richtige Politik machen werden, ist angesichts des oben geschriebenen naiv, zumindest,  wenn da gesellschaftliche Machtfragen tangiert sind. 
 
Eine kleine Erinnerung: Im Frühjahr oder Sommer 1999 war ich ziemlich verblüfft bei einem Besuch in der Bundesgeschäftsstelle, (damals noch in Bonn),  als ich einen Packen mit Einladungen sah, gerichtet an einige Umweltverbände und Initiativen, mit dem Tenor, sich doch mal zum Thema Atomausstieg zusammenzusetzen. Verblüfft war ich, weil ich angenommen hatte, dass Grüne in Regierung, Fraktion und BuVo. angesichts der Pro-Atomphalanx schon früher den Schulterschluss mit den ausserparlamentarischen Atomgegnern gesucht hätten.  Aber die haben da wohl auch erst mal abgewartet und geschaut, was die Grünen in der Bundesregierung so zustande bringen. Die Gegenseite hat nicht abgewartet …
 
Aufgabe der grünen Linken muss es sein, zusammen mit den zivilgesellschaftlichen Kräften den Gegendruck zu organisieren, damit gegen den Widerstand egal welcher Koalitionspartner und der genannten Interessengruppen möglichst viele grüne Inhalte in ein Regierungsprogramm aufgenommen und dann auch umgesetzt werden. Zugleich müssten wir dann noch den Parlaments- und Regierungsgrünen verklickern, dass sich das nicht gegen sie persönlich richtet sondern ihrer Unterstützung dient …
 
Um eine solche Aufgabe zu bewältigen, bräuchten wir Strukturen sowie organisatorische und personelle Kapazitäten, die wir gegenwärtig nicht haben. Wie können wir das erreichen?
Das sollten wir auf dem Strategiekongress diskutieren.
 
 
Horst Schiermeyer, Zittau 

 

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